Kunst Forum Weil der Stadt

 

Moritz Baumgartl

"Haltestellen", Malerei

12.11.-10.12.2017

 

Moritz Baumgartl zählt zu den Klassikern der gegenständlichen Malerei im deutschen Südwesten. Der 1934 in Frühbuss im Erzgebirge geborene Künstler bevölkert mit seiner unerschöpflichen Fabulierlust Bildszenarien mit sonderbaren Gestalten, die er oft  zu meisterlich absurden Auftritten gruppiert. Günther Wirth beschrieb dies in seinem Standardwerk „Kunst im deutschen Südwesten von 1945 bis zur Gegenwart“ treffend:

“Das Bewusstsein, dass die Welt voller mehrdeutiger Erscheinungen ist und daher im Gesamten vieldeutig, führt Moritz Baumgartl (...) zu der Einsicht, dass sie vom Künstler ein bildnerisches Ordnen verlangt. Doch vollzieht er dieses Ordnen niemals kühl, sondern mit einem nur diesem Maler eigenen Engagement, in welchem sich Realität und Vision, Traum und Phantasie auf sonderbare Weise vermischen. Unter solchem Aspekt geht es Baumgartl (....) häufig um Veranschaulichung von Beziehungen, in denen sich - bei Personen und Dingen - Vergangenheit und Gegenwart überlagern und sich völlig unerwartet bildnerische Antworten erteilen. So entsteht im Kontext Mysteriöses.“

Moritz Baumgartl, der selbst an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart studiert hat, lehrte dort zwischen 1976 und 2000 als Professor. Zahlreiche, inzwischen renommierte Künstler haben bei ihm studiert. So auch Peter Riek, der dieses Jahr ebenfalls beim Kunstforum Weil der Stadt in der Wendelinskapelle ausgestellt hat.

  

   Bei der Eröffnung der Ausstellung "Haltestellen" von Moritz Baumgartl begrüßte H.P. Schlotter in der dicht gefüllten Wendelinskapelle viele ehemalige Studenten des Künstlers. Im Anschluss sprach Susanne Widmaier ein erfrischendes Grußwort seitens der Stadt. Daran anknüpfend beschrieb Dr. Tobias Wall sowohl die Person Baumgartl als auch die Entstehung und Bedeutung seiner Malerei sehr kenntnisreich und gewürzt mit einer Prise Humor.

„Ich bin kein Surrealist!“ entrüstete sich Moritz Baumgartl an der Finissage seiner Ausstellung „Haltestellen“, als ihn HP Schlotter zu Beginn des Kunstgesprächs mit einer entsprechenden Charakterisierung des bekannten Kunstkritikers Karl Diemer konfrontierte. Er male, was er sehe oder denke, und das gehe vom Kopf aus, nicht vom Bauch. Bauchgeschichten hätten für ihn immer so ein G’rüchle..., erklärte der langjährige Professor listig schmunzelnd mit kleinem Seitenhieb auf seine ehemaligen Kollegen an der Kunstakademie Stuttgart Ende der siebziger Jahre, die noch einem abstrakten Tachismus verpflichtet waren. Und offen berichtete er auf eine Frage nach der „Otradek“-Serie über sein erstaunliches Erlebnis eines Phantombildes in einem Pariser Café, das ihn an eine gleichnamige Kafka-Figur aus dessen Erzählung „Die Sorge des Hausvaters“ erinnerte.

 


Das alte, neue Rätsel Farbe

Gesprächsforum am 5.10.2017

Kunst-Vortrag in der Wendelinskapelle, zwei unterschiedlichen Darstellungen aus den Blickwinkeln von Kunst (H.P. Schlotter) und Naturwissenschaft (Dr. M. Burghard) - Besucherkommentar: „Ein höchst interessanter und ‚farbiger’ Abend, ein Kunstforum, das seinem Namen Ehre macht und ein Forum für aktuellste Information und sachlich fundierte Diskurse bietet, verständlich und amüsant, mit erstaunlichen Bildbeispielen - Danke!“

  


Kunst und Humor

Gesprächsforum am 14.09.2017

Was hat hehre Kunst denn mit Humor zu tun? In einem Einführungsreferat am 14.9.2017 in der Wendelinskapelle versuchte Marko Burghard zunächst Begriffe zu klären, bevor er erstaunliche, amüsante Beispiele, von der griechischen Vasenmalerei bis zu aktuellen Kunstwerken – vor allem aus dem nichtdeutschen Bereich - vorstellte. In der anschließenden Gesprächsrunde unter souveräner Leitung von Uta Dingethal konnten sich weitere Erkenntnisse einstellen: Humor ist eher eine Haltung, eine Fähigkeit, der Unzulänglichkeit des Lebens und der Menschen mit heiterer Gelassenheit zu begegnen. Und sie findet sich erstaunlich oft unter der Künstlerschaft, auch hierzulande! Der rote Porsche ist eine Kreation („fat car“) des Österreichers Erwin Wurm, der auch mit seinen „One Minute Sculptures“ weltweit Erfolge und Schmunzeln produziert. Hier in Weil der Stadt mag man die aktuelle Skulpturenschau „Hier Brenz, Feuer und Flamme für Reformation“ auf humorige Exponate absuchen – allein der Titel macht schon Spaß mit der mehrdeutigen Verwendung des Namens des hier geborenen großen Reformators Johannes Brenz!

 

 


Peter Riek

"schwarz auf weiß auf schwarz"

25.6.-27.7.2017

 

    Vorsitzender Dr. Burghard eröffnet erstmalig    Peter Riek im Gespräch mit Irene Ferchl

    Lob + Gruss: Bürgermeister Thilo Schreiber     Irene Ferchl neben „Creation Nouvelle“

   

„Schwarzaufweißaufschwarz“ nennt Peter Riek, Zeichner und Objektkünstler aus Heilbronn, seine Einzelausstellung beim Kunstforum Weil der Stadt in der Wendelinskapelle.

Auf  den Heiligen Wendelin macht er in einer Arbeit auch aufmerksam in der Veränderung der raumbezogenen Anordnung von Artefakten in der Wendelinskapelle - im Vergleich zur entsprechenden Arbeit in der Kilianskirche in Heilbronn. Der Titel „Kilian und Wendelin tun sich zusammen“ drückt das. „Die Arbeit entstand ursprünglich für die Kilianskirche in Heilbronn, der Heilige Kilian ist ein Heiliger dort und in Würzburg, er kam als irischer Mönch um 700 zur Missionierung und er wurde ermordet, weil er sich als Mann des Glaubens in eine Ehe einmischte … das ist aber eine eigene Geschichte, sympathischer macht ihn, dass er als Patron des Weines gilt. Wendelin, nach dem diese Kapelle benannt ist, war ebenfalls irischer Herkunft und kam als Missionar oder Hirte oder beides nach Trier und St. Wendel...“ – erläuterte die Publizistin Irene Ferchl in ihrer Einführung zur Ausstellung.

„Peter Riek lebt in einer Kunst- und Literaturwelt“, so ebenfalls Irene Ferchl, und er selbst sagt, er ernähre sich durch deren Wahrnehmung. Deshalb sind auch hinführende Worte in dieser Ausstellung wichtig, z.B. bei den Drucken von Straßenzeichnungen, die hier neben klassischer Zeichnung auf Papier zu sehen sind.

Peter Riek zeichnet oft auf dem Boden, auf dem Belag der Straße. Die flüchtigen, vergänglichen Ergebnisse werden fotografiert und in verschiedenen Techniken gedruckt. Im Falle der „Wolken“ – bzw. „Himmelsbilder“ an der Stirnseite der Kapelle werden sie noch mit scherenschnittartigen Schriftelementen ergänzt, die sich auf verschiedene Namen von Künstlern und Dichtern beziehen. Man schaut und liest also, rätselt über die Beziehung zwischen Wolkenform und Künstlername, denkt dabei an die Wolkenmaler Carl Gustav Carus und Claude Lorrain, an John Constable, den intensivsten Wolkenstudienbetreiber, und an den lyrischen Wolkenbeobachter Gerald Manley Hopkins. Peter Riek reizt es also Verschiedenes, Fremdes, nicht Zusammengehöriges miteinander zu verbinden – und wenn das gelingt, ist es schön! Die Betrachter sind dabei herausgefordert, einen Zusammenhang herzustellen, das Rätsel zu lösen.

Gefäß- und Tierformen finden sich, auch mal ein Schädel wie ein Wappentier auf einem Kanaldeckel, Florales (eine Serie heißt »Asphaltlilien«), Organisches wie tatsächliche Organformen, Knochen, Skelette (man assoziiert deshalb nachvollziehbar den »Röntgenblick auf Innerstes«), aber es sind doch eher abstrakte als konkrete Formen: fremd und doch seltsam vertraut, spontan, aber doch nicht willkürlich. Man meint zu spüren, dass hier die Umgebung zwar nicht abgebildet, vielmehr in sie eingeschrieben wird.

Das ist auch der Fall in einem übergroßen Kleidobjekt, das im Zentrum der Ausstellung hängt. Der Titel „Creation Nouvelle“ verweist eher auf die Modewelt, das Motiv, mit dem das Material bedruckt ist, entstammt auch einer Straßenzeichnung und macht es eher zu einem „memento mori“, lässt also an ein Totenhemd denken. Für den Künstler steht es für Erneuerung, er benutzte sogar das Wort Schöpfungsmythos.

 >Kunst im Gespräch<  an der Finissage am So 23.7. mit Irene Ferchl und Peter Riek!Peter Riek sprach zur Finissage in der Kapelle des St. Wendelin von Heiligen und deren Bedeutung - manchem der interessierten Besucher erschien er fast wie selbst ein solcher. Unprätentiös locker berichtete er von einer Anekdote mit seinem einstigen Akademielehrer Moritz Baumgartl und dessen ‚Relativitätstheorie der Farben’ und beantwortete damit die Frage nach seinem Verzicht auf Farbe. Er liebe eher die klare Sprache der Zeichnung: „Sie ist fern der Großmannssucht der Malerei mit ihrem Sehnen nach Repräsentation. Mir liegt schon von der Erziehung her mehr so ein protestantisch karges Dasein.“ Wer von uns zukünftig unterwegs im Urlaub einen knienden Mann auf der Straße malen sieht, wird sich nicht wundern: „Bei den Arbeitsaufenthalten in Paris, Budapest oder Basel wurde das temporäre Atelier meist von meiner Familie als Wohnraum belegt.“ Also entdeckte er die fantastischen Arbeitsmöglichkeiten im Freien. Es sei aber natürlich etwas anderes, wenn ein Kind oder aber ein älterer Herr kniend ein Bild auf die Straße male!

 

 

 


Christine Braun - Claudia Rasmussen

„Gegenüber“

12.3. - 9.4. 2017

 

   Vor dem Ansturm des Vernissage-Publikums - LKZ-Bildreporter ohne Berührungsängste

   Begrüßung der Stadt WDS, Frau Widmaier  - Begrüßung 1. Vorsitzende Frau Dingethal

Beginn der fulminanten Einführungsrede von Adrienne Braun:

„Ich freue mich, Sie begrüßen zu dürfen. Und allzu gern würde ich klar und deutlich, wach und forsch zu Ihnen sprechen, beherzt und raumfüllend, aufrecht und mit lauter Stimme. Allein, ich wag es nicht. Ich traue mich kaum, zu schnaufen und zu atmen, erst recht nicht, zu gestikulieren, um ja nicht aus dem Gleichgewicht zu geraten - und das zu zerstören, was Christiane Braun hier in liebevoller Feinarbeit erschaffen hat. Wobei: Was heißt schon liebevoll? Ist es nicht eher tückisch, was sie hier auf den kühlen Fliesen der Kapelle installiert hat? Wie sie uns gängelt, uns zwingt, furchtsam alle Konzentration auf ihre Arbeit zu lenken? Sie stellt gemeinsam mit Claudia Rasmussen aus – aber macht es den Besuchern schwer, die Werke der Kollegin anzuschauen, weil wir ständig den Blick auf den Boden richten müssen und nicht wie gewohnt kontemplativ in die Arbeiten versinken können.“  -  Lesen Sie weiter unter...   http://www.kunstforum-weilderstadt.de/pdfs/Einfu%CC%88hrungsrede%20von%20Adrienne%20Braun.pdf

 Erstaunlicherweise können sich die Bilder von Rasmussen "gegenüber" der starken Irritation durch die Salzstangen-Bodeninstallation ihrer Kollegin Braun nicht nur behaupten, die Arbeiten interagieren: Kräftiges Schwarz (Tusche, Kohle, Ölpastell), ungestümer Farbauftrag (gespachtelt, geschmirgelt, gewischt), und diese Riesenformate konterkarieren die zerbrechlich-filigranen Salzstangen, die sich farblich nur wenig von den Fliesen in der Wendelinskapelle abheben. Gleichzeitig wird der starke Gestus in den Bildflächen durch das Netzwerk des Salzstangenfeldes, das sich wie ein Zugvogelschwarm zu einer wolkigen Bewegung verdichtet, in den Kapellenraum ausgeweitet. Der Besucher findet sich in einem expressiv-abstrakten gesamt-räumlichen Liniengefüge wieder und muss dabei aufpassen, nicht konkret-tolpatschik das Kunstwerk teilchenweise zu zerstören. Man muss sich ja nicht gleich so artistisch herausfordern lassen wie oben der Fotograf der Leonberger Kreiszeitung. Eines seiner Ergebnisse findet sich angehängt an die Kritik von Sylvia Hüggelmeier in der LKZ vom 14.3.2017:

                             

„Mich interessiert der Raum zwischen materiell greifbaren Objekten, die einerseits durch die sinnliche Erfahrung einen Eindruck von etwas Beständigen, fast Zeitlosen, Ewigen hinterlassen, und andererseits die Ahnung des Vergänglichen, des Unbeständigen, des sich Verändernden.“ Christine Brauns bildhauerisches Credo wurde mit der Tanzperformance von Lisa Thomas und Margarethe Weckerle am Finissage-Sonntag perfekt umgesetzt. Aber auch Bewegungsmuster und Formanklänge in den Arbeiten von Claudia Rasmussen fanden Einzug in die tänzerische Gebärdensprache. Während ihre Bilder aber unversehrt an den Wänden der Wendelinskapelle hängen bleiben durften, blieb von Brauns Salzstangen-Installation am Ende lediglich eine Krümelwüste übrig. Eben eine perfekte Finissage!

Alle Dinge vergehen und kein Verweilen kennt der Augenblick...

 

 


Unerwartet - die Kunst des Zufalls“

Dr. Eva-Marina Froitzheim führt das Kunstforum durch die Ausstellung im Kunstmuseum Stuttgart

5.2.2017

Vor 100 Jahren protestierten DADA-Künstler gegen eine Kultur-Gesellschaft, die das grausame Morden auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges nicht verhindern konnte. Durch die Einbeziehung des Zufalls in der Kunst sollten überkommene Hierarchien und ästhetische Prinzipien der Lächerlichkeit preisgegeben und entwertet werden. Ein Spiel mit gefaltetem Papier, in dem es darum geht, einen Satz oder eine Zeichnung durch mehrere Personen konstruieren zu lassen, ohne dass ein Mitspieler von der jeweils vorhergehenden Mitarbeit Kenntnis erlangen kann, war eine Methode, dem Zufall bei der Entstehung von Texten und Bildern Raum zu geben. Le cadavre-exquis-boira-le-vin-nouveau (frz. = „Der köstliche-Leichnam-wird-den-neuen-Wein-trinken“) bildete den ersten Teil eines auf diese Weise gewonnenen Satzes, das dem Spiel seinen Namen gab.

Von Bretons „Cadavre–Exquis“ bis zu Christian Jankowskis „Telemistica“-Beitrag zur Biennale in Venedig 1999  genossen wir (auf unterem Foto 'zufällig' die Weil der Städter, die nicht zugleich in die Jankowski-Box passten) eine interessante und lebendige Führung der Kuratorin Dr. Eva-Marina Froitzheim am 5.2.2017 durch ihre Ausstellung „Unerwartet - die Kunst des Zufalls“ im Kunstmuseum Stuttgart. Unseren Vernissagebesuchern war sie ja bereits bekannt durch ihre Einführungsrede zur Ausstellung Eva-Maria Reiner am 28.2.2016 in der Wendelinskapelle. Beim Blick damals in unseren Jahresflyer mit Vortragsankündigungen zum Thema „Die Faszination des Zufalls als Schnittstelle zwischen Kunst und Naturwissenschaft“ mit H.P. Schlotter (27.4.2016) und Dr. Marko Burghard (2.9.2016) mag sie sich gewundert und vielleicht schon an diese Revancheveranstaltung gedacht haben.